Die französische Perkussionspistole M 1822 T bis


Geschichte


Text Udo Lander

Die Kavalleriepistole M 1822T bis

Die Karriere der französischen Kavalleriepistole M 1822 war mit dem Umbau auf das Perkussionssystem, der sogenannten Aptierung und der damit verbundenen Erweiterung der bisherigen Modellbezeichnung mit einem "T" noch nicht am Ende.

Die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts brachten der gesamten Feuerwaffentechnik einen ungeheuren Schub in die Moderne. Dies lag nicht alleine daran, daß geniale Tüftler und Erfinder wie die französischen Offiziere Delvigne, Thouvenin, Minié oder aber der in Sömmerda/Thüringen arbeitende Dreyse am Werk waren. Die treibende Kraft war daneben die durch die technische Revolution in vielen Bereichen plötzlich zur Verfügung stehende Technologie, welche die Umsetzung vieler Ideen in die Realität erst ermöglichte.

Während in vielen anderen Staaten führende Militärs die durch Innovation auf dem Handfeuerwaffensektor möglichen Vorteile erkannten und danach handelten, zum Teil Hinterladerwaffen oder Perkussionswaffen mit deutlich kleineren Kalibern einführten, begnügte sich Frankreich damit, ab 1853, sozusagen am Vorabend der Expedition auf die Krim, ein neues Handfeuerwaffensystem bei der Infanterie einzuführen, das aber außer einem neu konzipierten Perkussionschlor nichts Neues zu bieten hatte. Die Läufe waren immer noch glatt, allerdings so gefertigt, daß jederzeit Züge eingeschnitten werden konnten. Dies deshalb, weil man sich noch nicht im Klaren darüber war, ob man ein Dornsystem oder das von Major Minié entwickelte und nach ihm benannte Minié-System übernehmen wollte; die Versuche waren noch nicht abgeschlossen.

Das Minié-System

Erst mit Einführung des Handfeuerwaffenmusters M 1857 ab dem gleichen Jahr rang sich das französische Kriegsministerium zur generellen Übernahme des gezogenen Laufs für die Infanterie nach dem System Minié durch. Drei Jahre später schließlich, ab 1860, nahm man sich endlich auch der Feuerwaffen der Kavallerie an, worin auch die zahlreich vorhandenen Kavalleriepistolen eingeschlossen waren.

Allerdings hatte diese beinahe als fürsorglich zu bezeichnende Sorge um die Feuerwaffen der Kavallerie ganz profane Gründe: Die mit dem System M 1857 eingeführten und generell verwendeten Minié-Spitzgeschosse im Kaliber 17,5mm waren für die glattläufigen Karabiner und Pistolen völlig ungeeignet, so daß zwei verschiedene Munitionssorten hätten bevorratet werden müssen. Deswegen begann in den staatlichen Manufakturen ab 1860 aus Standardisierungsgründen die zweite Umänderung der ehemaligen Kavalleriepistolen M 1822, deren Zustand den Aufwand noch lohnte. Dabei ist erwähnenswert, daß auch noch ehemalige, inzwischen perkussionierte Pistolen M an9, M an13 und M 1816 dieser zweiten Änderung unterzogen wurden, soweit sie zustandsmäßig den gestellten Anforderungen noch entsprachen.

Diese zweite Änderung betraf ausschließlich den Lauf. Dieser wurde auf ein Kaliber von 17,7mm aufgebohrt und erhielt im Anschluss vier breite Züge mit einer einheitlichen Tiefe von 0,2mm.

Während die Kimme auf der Verlängerung der Schwanzschraube erhalten blieb, ist das Korn geändert worden. Der Lauf bekam einen halbkugelförmigen Sockel aufgelötet, der das eigentliche Korn trug. Dieses gegenüber dem vorigen Zustand höhere Anbringen des Korns ergab bei gleichzeitiger Beibehaltung der Kimme einen tieferen Haltepunkt und wirkte damit der Tendenz der Waffe entgegen, beim Schuss sozusagen automatisch nach oben abzuweichen. Hochschüsse sollten somit vermieden werden.

Die Kaliberänderungen wurden auf dem Lauf hinter der Kaliberangabe "C. de 17,6" oder "C. de 17,6 N" mit einem "A" für "Alésé" (Ausgebohrt) dokumentiert. Die Pistolen, deren Läufe für das Einschneiden der Züge bereits zu dünn waren, erhielten neue, bereits gezogene Läufe, wobei die Kaliberangabe durch ein "N" für "Nouveau" (neu) ergänzt wurde. Wie bereits oben erwähnt, unterschieden sich die alten und die neuen Läufe, unabhängig davon, ob sie gezogen oder glatt waren, durch die Anbringung des Pistonsockels entweder aufgelötet nach alter Art oder aber als Einheit mit dem neuen Lauf.

Zur Verwendung der Minié-Spitzgeschosse war es weiterhin erforderlich, die bisher im Schaft versorgten Ladestöcke mit nagelförmigem Kopf gegen solche mit trichter- oder tulpenförmigem Kopf auszutauschen. Durch die Ausfräsung des Ladestockkopfes sollten Beschädigungen des Spitzgeschosses beim Ladevorgang verhindert werden.
Abschließend bleibt festzustellen, daß die französische Kavallerie im europäischen Vergleich mit ihren gezogenen, nach dem Minié-System funktionierenden Pistolen bis über den deutsch/französischen Krieg 1870/71 hinaus sehr gut bewaffnet war. In den meisten deutschen Staaten führte die Kavallerie nur glattläufige Pistolen und nur wenige Armeen besaßen solche mit gezogenen Läufen. Die Folgen des deutsch/deutschen Krieges 1866 aber brachten es mit sich, daß im Sinne einer von Preußen gewünschten Einheitlichkeit auch bei der Pistolenbewaffnung die gezogenen Waffen größtenteils wieder verschwanden und durch preußische, glatte Pistolen ersetzt wurden. Somit konnte Frankreich seinen in Europa für beinahe eineinhalb Jahrhunderte innegehabten Vorsprung auf dem Gebiet der Faustfeuerwaffen auch ein letztesmal wahren, wenngleich durch überall hervorbrechende technische Entwicklungen auf dem Feuerwaffensektor offenkundig geworden war, daß die Zeit der altehrwürdigen Vorderlader längst vorüber war.


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